Kirche in der „Ostmark“ Europas

„Ukraina“ heißt „Grenzland“ und bezeichnete ursprünglich die
Grenzmark des Kiew’schen Reiches. Eine sprachliche Analogie zur
ehemaligen serbokroatische „Krajina“, die sich der südlichen Grenze
Ungarn und Kroatiens entlang zog, ist naheliegend. Vergleichbar ist der
aus der österreichischen Geschichte bekannte Begriff „Ostmark“ als
Grenzmark des heiligen römischen Reiches deutscher Nation an der Donau.
Der Name „Ostmark“ wurde von den ideologischen Kräften des deutschen
Imperialismus für das 1938 okkupierte Österreich bewusst zur Verwirrung
der Menschen wieder belebt. Österreichs letzter Regierungschef Arthur
Seyß-Inquart bejubelte den von den vielen Kollaborateuren vorbereiteten
Einmarsch. Die römisch katholische Kirche in Österreich wandelte sich
mit ihrem Kardinal Theodor Innitzer zu einer „nationalen Kirche“,
begrüßte die deutsche Okkupation mit Glockengeläut aus der Wiener
Metropolitankirche, gab ihr in einer „Feierlichen Erklärung“ eine
religiöse Weihe und versprach, die Gläubigen im Sinne der
nationalsozialistischen Bewegung zu „ermahnen“.

Nach dem Ende der Zarenherrschaft war die Ukraine 1917 einige Zeit
selbständig geworden. Ihr erster Präsident war der aus der Verbannung
zurückgekehrte Mychajlo Hruschewskyi. 1921 kam es zu einer neuen Teilung
der Ukraine zwischen Sowjetrussland und Polen. Die Sowjetukraine war
Gliedstaat der Sowjetunion und es siedelten in ihr etwa 80% aller
Ukrainer. Es ist gewiss kein Zufall, dass Hruschewskij wegen seiner
Verdienste um die Wissenschaft der Sowjetukraine in Kiew ein
sowjetisches Staatsbegräbnis erhalten hat (1934). Taras Schewtschenko,
der große ukrainische Lyriker, der erstmals durch den aus Tirol
stammenden und mit Karl Emil Franzos befreundeten Johann Georg Obrist
ins Deutsche übersetzt worden ist, hat in Kiew unter der Sowjetmacht ein
Denkmal erhalten. Seine Werke fanden ebenso wie jene des in Wien
promovierten ukrainischen Poeten und revolutionären Demokraten Ivan
Franko oder wie jene der Schriftstellerin Lessja Ukrajnka – in Wien wird
mit einer Büste bzw. einer Gedenktafel an beide erinnert – in der
ganzen Sowjetunion mit großen Auflagen Verbreitung.

Dem Begründer der Sowjetunion Wladimir I. Lenin war am Beginn des
Schewtschenko – Boulevards in Kiew ein Monument aus schwarzem und rotem
ukrainischen Granit gewidmet, das die Inschrift hatte: „Wenn die
russischen und ukrainischen Arbeiter einig handeln, ist eine freie
Ukraine möglich. Ohne diese Einheit kann davon keine Rede sein“. Mit
solchen humanistischen Losungen haben die Kirchen, die an ihren Reichtum
und Besitz denken, seit jeher nichts anfangen können. Der
Altösterreicher Eduard Winter, dem nach 1945 eine Professur für
osteuropäische Geschichte in Wien verwehrt worden war und der deshalb
1947 eine Berufung nach Halle a. d. Saale und später nach Berlin
angenommen hat, hat in seinem in Prag geschriebenen Buch „Byzanz und Rom
im Kampf um die Ukraine“ dargestellt, wie sich in der Sowjetukraine
trotz der konsequenten Trennung von Staat und Kirche die
Auseinandersetzungen zwischen der offiziellen, dem Synod von Moskau
unterstehenden orthodoxen Kirche und der autokephalen ukrainischen
Kirche weiter fortgeführt wurde. Die vielen ukrainischen Emigranten in
den USA und in Kanada bemühten sich anhaltend um die Ukrainisierung der
orthodoxen Kirche, während Rom seine ukrainischen Geistliche als fünfte
Kolonne der europäischen Herrschaftskirche ausbildete.

Die Sowjetukraine gehörte zum europäischen Teil der UdSSR und war
für den deutschen Imperialismus im Zentrum kolonialer Interessen.. Nach
ihrem Überfall auf die Sowjetunion hat die deutsche Wehrmacht den
rassistischen Massenmord an den ukrainischen Juden ebenso zu
verantworten wie die grausame Unterjochung des ukrainischen Volkes. Ohne
jede militärische Notwendigkeit taten die deutschen Aggressoren im
„Bereich Ukraine“ alles, um die ukrainischen und russischen Kulturwerte
zu zerstören oder nach Deutschland zu verschleppen. So wurden unter
anderem die von der Sowjetukraine als Museumsreservat speziell
geschützte Kiewer Maria-Himmelfahrt-Kathedrale (Uspenski Kathedrale) von
den Deutschen gesprengt, die Kostbarkeiten der Kiewer Staatlichen
Museen für ukrainische und russische Kunst geplündert und das
Historische Heimatmuseum in Poltawa niedergebrannt. Am 6. November 1943,
wenige Stunden vor dem Einrücken der Roten Armee mit ihrer ukrainischen
Front, die dann auch trotz eines letzten, vom Hauptmann und späteren
österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger angeführten
Aufgebotes Wien befreit hat, haben die Deutschen Besetzer begonnen die
schönsten Gebäude von Kiew organisiert zu sprengen und in Brand zu
setzen. Der Wiederaufbau der völlig zerstörten Sowjetukraine gelang nur
mit Unterstützung aller Sowjetrepubliken bis hin zum Ural. Sich dabei
bereichernde Kriegsgewinner gab es vom System her nicht. Es war das eine
einzigartige Leistung der Solidarität für das friedliche Zusammenleben
der Völker – ohne religiöse Attitüde.

„Erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten“ –
das war das Programm des deutschen Imperialismus wie es der von Krupp
& Co, Klöcker & Co oder Stinnes & Co finanzierte Hitler am
16. Juli 1941 ausgegeben hat. Wie ist das Programm für die europäische
Ukraine heute? 1991 hat das oberste parlamentarische Organ in Kiew die
Unabhängigkeit der Ukraine erklärt und mit einem ukrainischen
Religionsgesetz die Voraussetzungen für die sogleich einsetzende und mit
reichen Finanzmitteln ausgestattete Propagandaoffensive der Kirchen
geschaffen. Diese fand in den von heute auf morgen durch korrupte
Profiteure aus dem In- und Ausland der Verelendung preis gegebenen
Bevölkerung eine breite Resonanz. Religion ist eben ein Ausdruck der
Ohnmacht des Menschen gegenüber seiner Umwelt. 1997 wurde auf dem
NATO-Gipfel in Madrid der militärische Partnerschaftsvertrag zwischen
der NATO und der Ukraine beschlossen. Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest
2008 ging es um die weitere Förderung der europäisch – atlantischen
Aspirationen der Ukraine. Die reale Bedrohung für Russland spitzte sich
am 20. Februar 2014 auf dem Maidan-Platz mit dem von besonders
etablierten Institutionen des Finanzkapitals finanzierten Putsch zu.
Eine russische Konsequenz war die Rückeroberung der Russland verbundenen
Krim im März 2014. Im September 2014 hielt der neue Präsident Petro
Porotschenko vor dem US-Kongress eine seiner Funktion angemessene
Lakaienrede: „Ich danke der USA für ihre Solidarität.“ Die mörderische
US-Solidarität haben die Völker in vielen Teilen des Globus von Vietnam
angefangen in besonderer Weise erleben dürfen.

Von den europäischen Leitmedien wird die militante nationale
Positionierung des Metropoliten der „nationalen ukrainischen Kirche“
Epifani von Perejaslaw bejubelt. Einer seiner Vorgänger ist Mstyslav
Skrypnik, der als Oberhaupt der ukrainischen Exilgemeinde in den USA
1990 vom ersten Allukrainischen Landeskonzil zum Patriarchen gewählt
worden ist. 1941 hat dieser ukrainsiche Kirchenfürst mit dem deutschen
Reichskommisar in der Ukraine Erich Koch zusammengearbeitet. Die
Ereignisse in der Ukraine machen deutlich, wie schwer sich die
Kirchenhierarchien tun, sich von den korrupten Eliten des Reichtums zu
lösen und sich auf die Seite der Armen zu stellen.

Gerhard Oberkofler



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