Arm, schlank und ohnmächtig

Der Kahlschlag bei den Kommunen führt zu Kontrollverlust

Der Investitionsstau in den deutschen Kommunen beträgt rund 159 Milliarden Euro, wie der „Deutsche Städte und Gemeindebund“ vor kurzem betonte. Diese Zahl ist gewaltig und, da der Trend seit langer Zeit stets nach oben zeigt, auch noch eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. Konkret wird diese Summe bei einem Rundgang durch unsere Städte und Gemeinden. Die Mahnmale politischer Untätigkeit gleichen sich von Ort zu Ort: unbenutzbare Schultoiletten und Unterrichtsräume, verfallene Verwaltungsgebäude, jahrzehntealte Containeranlagen, die wahlweise als Kita, Schule oder Notschlafstelle genutzt werden.
Schuld an der ganzen Misere und daran, dass der Rückstand von Jahr zu Jahr steigt, sind nicht nur die horrenden Schuldenberge, die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen und die Haushaltssicherungskonzepte, die im Jahr 2018 weiterhin rund ein Viertel der Kommunen geißelten und dort die Arbeit der Räte aushebelten. Eine weitere wichtige Ursache ist der über viele Jahre hinweg betriebene Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung.
Der neoliberale Traum von der „schlanken“ Stadtverwaltung riss gewaltige Löcher in das kommunale Personaltableau. Alleine in den Bau- und Planungsämtern wurden in den letzten zehn Jahren geschätzte 10 000 Stellen gestrichen. Zugleich nahm die Aufgabenlast für die Kommunalverwaltungen zu. Der Druck auf die verbliebenen Beschäftigten, die in der politischen Debatte von zahlreichen bürgerlichen Akteuren nur noch als durch Digitalisierung und Privatisierung zu beseitigende Kostenfaktoren betrachtet wurden, wuchs kontinuierlich. Dieser Kahlschlag rächt sich nun.
Denn auch in den Städten, in denen noch finanzielle Handlungsspielräume existieren, bleiben wichtige Investitionen auf der Strecke, da die erforderlichen Planungs- und Genehmigungsleistungen nicht erbracht werden können. Weil das Personal für die Bauaufsicht und -durchführung fehlt. Weil kaum noch jemand da ist, der Fördermittel beantragen oder Ausschreibungsverfahren durchführen könnte. Die „schlanke“ Kommunalverwaltung wird zum lähmenden Flaschenhals und die überarbeiteten Verwaltungsangestellten halten als Sündenböcke für die maroden Schulen und holprigen Straßen her.
Doch damit endet die vor vielen Jahren begonnene Agenda nicht. Vielerorts setzen die Städte nun auf Privatisierungen und „Public-Private-Partnerships“, um die städtische Infrastruktur am Leben zu erhalten. Die Schwäche der Stadtverwaltungen, die über einen langen Zeitraum hinweg gezielt und konsequent betrieben wurde, dient nun als Vorwand, um den „effizienteren Privaten“ zu übertragen, was der „behäbige Staat“ nicht mehr schafft. Der Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur wird durch diese Entwicklung neue Impulse erhalten. Wir müssen wachsam sein und dem Privatisierungsdruck entgegentreten. Notwendig ist ein gezielter Personalaufbau in den kommunalen Verwaltungen, mehr Ausbildungsplätze und bessere Arbeitsbedingungen sowie ein kommunaler Schuldenschnitt und eine völlig neue solidarische Gemeindefinanzierung.
Der Zustand der Schulen und Pflegeheime, der Sozial-, Kultur- und Jugendeinrichtungen in unseren Städten und Gemeinden ist unwürdig und schlecht. Noch gefährlicher ist allerdings der mit dem weiteren Verfall der kommunalen Infrastruktur einhergehende Kontrollverlust. Denn dort, wo die Räte nichts mehr entscheiden können, weil sie dem Diktat der Sparkommissare unterliegen oder des gutmütigen Zuspruches ihrer privaten „Partner“ bedürfen, und dort, wo die Ratsentscheidungen nicht umgesetzt werden, weil es keinen leistungsfähigen Verwaltungsapparat mehr gibt, ist das Recht auf die kommunale Selbstverwaltung praktisch bereits gestorben.

Erschienen in der UZ vom 18. Januar



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