Wieder in die reformistische Richtung?

Die Mitglieder der DKP Gießen schätzten auf
ihrer Mitgliederversammlung den Leitantrag als insgesamt nicht
kämpferisch ein. Er ist an vielen Stellen sehr allgemein und geht
teilweise nicht einmal so weit wie das Sofortprogramm: Die
Abschaffung von Hartz IV wird z.B. nicht mehr gefordert. Außerdem
fehlen oft klare Ausdrucksweisen, wenn z.B. der Klassengegner nur
noch als „Adressat unserer Forderungen“ bezeichnet wird. Durch
den ganzen Antrag ziehen sich reformistische Illusionen,
kommunistische Grundsätze sind nur selten zu finden. Den einzelnen
Forderungen stimmen wir zwar größtenteils zu, unterscheiden uns
damit aber nur wenig von anderen linken oder sozialdemokratischen
Positionen. Der Kapitalismus ist nicht reformierbar!

Den internationalen Einschätzungen zu Russland
und China stimmen wir zwar zu, die Bereiche Afrika, Lateinamerika
oder Asien fehlen jedoch ganz. Gerade als kommunistische Partei ist
die Beurteilung der internationalen Entwicklung enorm wichtig.

Eines der Hauptprobleme sehen wir in der
„Verteidigung der Demokratie“. Wir leben in der Herrschaft des
Kapitals, und dies muss auch so formuliert werden. Demokratische
Rechte, die in oft jahrelangen Kämpfen erreicht wurden, müssen
natürlich verteidigt werden, die Errichtung des Sozialismus darf
aber dabei nicht aus den Augen verloren werden. Es geht um die „Wende
zu demokratischem und sozialem Fortschritt“, obwohl unser Ziel die
Abschaffung des Kapitalismus sein sollte. Warum darf das so nicht
benannt werden? Warum wird die Eigentumsfrage nicht gestellt? Der
Unterschied zwischen kapitalistischer und sozialistischer
Gesellschaft in Bezug auf das Eigentum wird nicht erklärt. Zwar
sollen die Energiekonzerne verstaatlicht werden, ansonsten heißt es
nur allgemein, dass Privatisierungen zurückgenommen werden sollen.

Im Leitantrag sollen „Bruchpunkte“ benannt
werden, wo wir ansetzen könnten, das „Kräfteverhältnis“ zu
verändern. Das geschieht aber nur allgemein, konkrete
Handlungsorientierungen fehlen. Sehr ausführlich wird das
Gesundheitswesen behandelt. Auch wir sehen hier große Möglichkeiten,
unsere Positionen einzubringen, da sowohl die Beschäftigten als auch
die Patienten betroffen sind. Die Frage des Profits in diesem Bereich
wird jedoch nicht angesprochen. Auch fehlen, oder werden nur
oberflächlich behandelt, wichtige Standpunkte zu den aktuellen
Diskussionen in den Gewerkschaften: Mitbestimmung im Betrieb,
Tarifbindung, Verdichtung und Entgrenzung der Arbeitszeit. Positiv
wurde eingeschätzt, dass das im Sofortprogramm genannte
Renteneintrittsalter nicht mehr vorkommt, da es gerade jetzt auch um
frühere und flexible Übergänge geht.

Auf völlige Unverständnis stieß das Fehlen des
Zusammenhangs zwischen Kapitalismus und Krieg. Es wird so getan, als
ob eine starke Friedensbewegung die Rüstungsindustrie zurückdrängen
könnte und es somit keine Kriege mehr geben würde. Das widerspricht
unserer marxistischen Weltanschauung. Der Kapitalismus ist nicht
friedensfähig! Die antimonopolistische Strategie ist zwar im
Wesentlichen richtig, da unser Hauptfeind das Monopolkapital ist.
Aber die uneingeschränkte und generelle Orientierung auf Bündnisse
mit allen antimonopolistischen Klassen und Schichten ist höchstens
punktuell in Ausnahmefällen möglich, z.B. in der Friedensfrage. Die
Notwendigkeit des Klassenkampfes sowie die Orientierung auf die
Arbeiterklasse muss dagegen deutlicher hervorgehoben werden.

Die DDR, ihre Errungenschaften und Bedeutung sind
ausführlich dargestellt, was als sehr positiv gesehen wird. Die
Fragen zur Totalitarismus-Doktrin werden jedoch ausgeblendet. In den
aktuellen Diskussionen zum NPD-Verbot, zur NPD-Parteienfinanzierung
bis hin zur Aberkennung von Grundrechten wird nicht bedacht, dass
dies letztlich auch auf Kommunistinnen und Kommunisten zielt. Aber
gerade das müsste ein zentraler Punkt in unserer zukünftigen
Strategie sein.

Zusammenfassend stellten die Mitglieder fest, dass es sehr schwer sein wird, durch konkrete Anträge den Leitantrag zu qualifizieren. Es stellt sich die Frage, ob sich die Partei durch die Verabschiedung dieses Textes wieder in die reformistische Richtung zurückbewegt. Die DKP Gießen wird versuchen, dies zu verhindern.

DKP Gießen



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