Leitantrag wird eigenem Anspruch nicht gerecht

Im aktuellen Leitantrag wird darauf verzichtet die
Meinungsverschiedenheiten in der DKP über deren Charakter als
Kommunistische Partei im 21. Jahrhundert erneut zu betonen bzw. zu
verschärfen. Dies erleichtert die Vorbereitung des 23. Parteitages.
Auf der 5. PV-Tagung hatte Patrik Köbele erklärt, diese Probleme
seien mit den vorangegangenen Parteitagen entschieden. Die
Meinungsverschiedenheiten sind jedoch weder in der Parteifrage noch
in der Politik und Strategie aufgehoben.

Der vorliegende Leitantrag, so Patrik Köbele auf der 6.
PV-Tagung, soll u.a. „die Fokussierung auf den Kampf der
Verankerung unserer Partei in der Arbeiterklasse fortsetzen“ und er
soll „die konkreten Kampffelder beschreiben …, an denen wir
Bruchpunkte in der Offensive des Monopolkapitals für möglich
halten.“ … Es gehe um „neuralgische Punkte im Klassenkampf, die
Einfallstore sein können für die antimonopolistischen
Klassenkräfte, um die Hegemonie der Monopolbourgeoisie punktuell in
Frage zu stellen“.

Diesem Anspruch wird der aktuelle Leitantrag nicht gerecht. Er
steht inhaltlich in der Linie seiner Vorgänger und offenbart erneut
eklatante analytische Schwächen. Alte Defizite werden
fortgeschrieben, neue kommen hinzu. Zu den übernommenen Punkten
zählen die völlig unkritische Haltung gegenüber der Politik
Russlands als imperialistischem Staat in der zweiten weltpolitischen
Reihe und die völlige Ignoranz gegenüber den Veränderungen in
Struktur und Machtgefüge des Monopolkapitals (Internationalisierung,
Institutionelle Anleger, etc.). Hinzu kommen die undifferenzierte und
undialektische Haltung gegenüber den DGB-Gewerkschaften, seiner
Führung und dem Apparat, sowie das fortgesetzte Ignorieren der
Notwendigkeit einer bündnispolitischen Orientierung. Das Beschwören
von Aktionseinheit und antimonopolistischen Bündnissen reicht nicht.

Gesellschaftspolitische Kräfte des Widerstandes gegen neoliberale
Politik werden ignoriert. Eine politische Orientierung und
Schwerpunktsetzung für die DKP als Teilkraft des Widerstandes fehlt.
Letztlich gibt es daher auch keine Ansätze zur Entwicklung einer
zeitgemäßen Strategie und Taktik der DKP. Die einzige Antwort auf
die großen Herausforderungen bleibt letztlich der Verweis auf die
notwendige und wünschenswerte Stärkung der DKP. Dieser Leitantrag
leistet dazu leider keinen Beitrag, auch durch den furchtbaren
besserwisserischen Sprachstil.

Neue Defizite in Analyse und Politikentwicklung kommen hinzu. Am
gravierendsten fällt die Unterschätzung der weltweit zu
beobachtenden Rechtsentwicklung auf, nicht einmal der Begriff taucht
in diesem Dokument auf. Warum?

Insgesamt wird deutlich, dass es in der DKP keine fundierte
Analyse zur gefährlichen Stärkung rechtsextremer Parteien wie der
AfD oder dem nahezu weltweiten Siegeszug rechtskonservativer,
nationalistischer und rassistischer Kräfte gibt. Alles wird unter
einer Offensive des Imperialismus subsumiert, ohne die darin
enthaltenen besonderen Gefahren tiefergehend zu analysieren und
zwischen verschiedenen Strömungen der Rechtsentwicklung (von Macron
über Seehofer bis Salvini) zu differenzieren.

Völlig untergewichtet ist die Analyse der Ursachen für die
Rechtsverschiebung im Bewusstsein der Arbeiterklasse, der nach rechts
gewendeten Wut gegen die kapitalistischen Verhältnisse. Diese
Entwicklung wird zu einem enormen Hemmschuh für die Durchsetzung
eines Politikwechsels in den kommenden Jahren, weil ein großer Teil
der arbeitendenMenschen gegen ihre eigenen Interessen mobilisiert
werden, bis weit hinein in die Gewerkschaften. Im Ergebnis können
politische Regierungskonstellationen wie in Österreich und Italien
entstehen – verbunden mit einem Umbau der bürgerlichen Demokratie
in Richtung eines reaktionären Obrigkeits- und Überwachungsstaates
und begleitet vom Abbau sozialer Rechte und einer weiteren
Umverteilung von unten nach oben. Um diese Entwicklung zu verhindern,
braucht es zweierlei: Dämme gegen rechtes Gedankengut und Rassismus
und soziale Bewegungen für einen radikalen Politikwechsel zur
schnellen Verbesserung der sozialen Verhältnisse der arbeitenden und
von Arbeit ausgegrenzten Menschen.

Stattdessen soll sich die DKP gegen den „Missbrauch von
Rassismusvorwürfen“ wenden, als ob dies momentan ein ernsthaftes
Problem wäre angesichts einer dramatischen Verschiebung der Achse
nach rechts. Uns allen sei hier nochmals empfohlen, sich mit den
Ergebnissen des Stuttgarter Sozialistenkongress 1907 zur Frage der
Migration zu beschäftigen.

Ein zweites Feld findet zwar Eingang in den Antrag, jedoch in
völlig unzureichendem Maß: der Klimaschutz. Er rangiert unter
ferner Liefen und umfasst nur die tatsächlich wichtigen Fragen
Energie und Verkehr. Fast könnte man meinen, diese Überlebensfrage
wird als vorübergehende Modeerscheinung einsortiert. Wir müssen
aber davon ausgehen, dass dieses Kampffeld zur größten
Herausforderung für alle politischen Kräfte weltweit geworden ist.
Es geht um nicht mehr, als um die weitere Entwicklung der
Produktivkräfte. Ihr gegenwärtiger zerstörerischer Charakter wird
klassenübergreifend bis in Teile der Monopolbourgeoisie anerkannt.
Die Entwicklungsrichtung und die soziale Entwicklungsrichtung der
Produktivkräfte bestimmen heute schon die Diskussion.

Die Klimapolitik rückt damit in den Mittelpunkt der
Klassenauseinandersetzungen. Der Kapitalismus hat mit seinem
profitmotivierten Festhalten an einer nicht-adäquaten technischen
Produktions- und Konsumtionsweise den Klimakollaps ausgelöst. Um
eine Katastrophe globalen Ausmaßes zu verhindern, muss innerhalb von
10 Jahren eine komplette Wende durchgesetzt werden. Das in
Deutschland aktive Kapital hat sich mehrheitlich für einen
Verweigerungskurs gegen den Klimaschutz entschieden. Ihnen geht es
jetzt darum, ihre Profite zulasten der arbeitenden Menschen zu
retten. Es geht schlichtweg um die Frage: Wer bezahlt die Klimawende?
Wem werden die sozialen Lasten aufgebürdet? Wer zahlt die Zeche für
die Suppe, die uns Energiekonzerne, Autoriesen und Agrarindustrie
eingebrockt haben? Es geht also um eine harte
Klassenauseinandersetzung auf dem Feld der Klima- und Umweltpolitik.

Es reicht daher nicht, Maximalforderungen wie die
Vergesellschaftung der Energiewirtschaft aufzustellen, wir brauchen
ein konkretes Forderungsprogramm zum sozial-ökologischen Umbau von
Ökonomie und Gesellschaft für die kommenden zehn Jahre aus
kommunistischer Sicht. Dabei muss deutlich werden, dass die DKP nicht
nur den Kapitalismus als den Hauptverursacher der Klimakrise benennt
sondern auch kurzfristige Antworten auf Überlebensfragen der
Menschheit geben kann. In dieser Auseinandersetzung bestehen große
Gefahren und Chancen. Die derzeitig herrschende Politik des
Neoliberalismus bietet keine Antworten, die diese Krise lösen kann
(CO2-Steuer, Heizungsmodernisierung, etwas niedrigere Bahnpreise). Es
besteht die Gefahr einer globalen Katastrophe innerhalb der nächsten
Jahrzehnte. Weitere Gefahren liegen in einer weiter ansteigenden
sozialen Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung durch eine
unsoziale Klimapolitik, wenn diese überhaupt realisiert wird. Die
Chancen liegen in einer durch die Klimadebatte forcierten Bewegung
für einen radikalen Politikwechsel weg von Kriegspolitik,
Neoliberalismus, Abschottung und Umweltzerstörung. Wir brauchen
diese große Allianz auch, um ein Gegeneinander-Ausspielen von
Klimaschutz und Kampf um soziale Rechte zu verhindern. Eine derartige
Allianz von Bewegungen wie Fridays-for-future u.a. mit der
Gewerkschaftsbewegung und anderen sozialen Bewegungen und Kämpfen
gegen die neoliberale Politik könnte entscheidend für die Zukunft
sein.

Ein weiteres Problem liegt in der Position zum Themenkomplex
Migration und Geflüchtete. So klar die Positionen in Sachen
Bekämpfung von Fluchtursachen und der besonderen Ausbeutung von
Migranten sind, so unklar sind sie in der Frage von sicheren
Fluchtwegen nach Europa statt Abschottung der EU, von Seenotrettung
und solidarischer Aufnahme von Geflüchteten. Hierzu schweigt das
Dokument sehr lautstark. Wo sind hier die Forderungen? Warum fehlt
die Solidaritätsbewegung mit Geflüchteten, der Kampf um Seebrücken
in der Aufzählung der neuen Massenbewegungen? Warum fehlen im
Abschnitt zum Demokratieabbau die weitere Aushöhlung des Asylrechts
und der Abbau von Rechten für Migranten? Zufall oder Rücksichtnahme
auf einen Teil der Arbeiterklasse, die sich durch die neue Konkurrenz
auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bedroht sieht? Da wird dann auch
noch faktenwidrig die Grenzöffnung 2015 als im Interesse der Banken
und Großkonzerne kritisiert und mit dem Abwerben von ausgebildeten
Fachkräften vermengt. Was für eine fatale Fehleinschätzung! Die
DKP kann sich nicht länger um Antworten auf diese Fragen
herumdrücken sonst wird aus der Ablehnung einer maßgeblich durch
den Kapitalismus verursachten Migration de facto eine unsolidarische
Haltung gegenüber den auf der Flucht um ihr Leben kämpfenden
Menschen.

Einen programmatischen Rückschritt enthält das Dokument in der
Frauenpolitik. So wird die wachsende Erwerbstätigkeit von Frauen
lediglich dem ökonomischen Zwang zugerechnet und nicht ebenso als
Veränderung des Bewusstseins gesehen. Folgerichtig wird in den
sozialen Kämpfen im Interesse „der gesamten Klasse“ ein
entscheidender Schlüssel zur Emanzipation der Frau gesehen. Sind wir
wieder bei einer völlig eindimensionalen Sichtweise der Frauenfrage
gelandet?

Ein großer Abschnitt des Antrags befasst sich mit der Situation
in den neuen Bundesländern. Dort wird das Bild eines weiter
existierenden „besseren Deutschlands“ gezeichnet, das keiner
Überprüfung standhalten wird. Allein die Wahlergebnisse der AfD
zeigen, welche Verheerungen die Rekapitalisierung und die
Deindustrialisierung der ehemaligen DDR in den Köpfen vieler
Menschen hinterlassen haben. In den letzten drei Jahrzehnten war das
große fortschrittliche Widerstandspotential nur punktuell zu
erkennen. Ein Sich-zurück-Sehnen nach Friedenspolitik und der
sozialen Sicherheit im sozialistischen Staat allein ist keine Basis
für eine fortschrittliche Gesinnung. Sie kann offensichtlich nach
rechts gewendet und missbraucht werden.

Im abschließenden Teil der Bündnispolitik wird im besten
Parteichinesisch ein breites antimonopolistisches Bündnis
beschworen, ohne konkret zu werden. Erst war in den letzten
Leitanträgen immer die DKP die Hauptkraft heutiger Veränderung,
nachdem dies angesichts der tiefen Krise der Partei wohl nicht länger
aufrecht zu halten ist, soll dies nun allgemein die Arbeiterklasse
sein. Die Bewegungen der letzten Jahre erfordern aber eine viel
differenziertere Betrachtung. Also: Wie erreichen wir eine Ablösung
der GroKo? Wie entwickeln wir in den Parteien SPD, Grüne, Linke und
sozialen Bewegungen einen gemeinsamen Kampf und ein Programm für
einen Politikwechsel für Klimaschutz, Arbeit, Bildung, Wohnen und
Kultur im Interesse der Mehrheit der Menschen, finanziert aus den
Rüstungsausgaben und den Profiten der Reichen und Konzernen? Was
kann die DKP dafür tun? Und zwar heute.

Wir tun uns schwer mit diesem Leitantrag. Wie mit den beiden
vorangegangenen, die mit äußerst problematischen Aussagen und
Feststellungen gegen mahnende Stimmen und Änderungsanträgen
mehrheitlich durchgesetzt wurde. Als ein Beispiel sei nur genannt:
„Raus aus der EU!“ Nach diesen Anträgen kräht kein Hahn mehr,
weil sie schon am Tag der Verabschiedung in vielen Fragen falsch oder
durch aktuelle Entwicklungstendenzen überholt waren. Wir erinnern
uns auch, dass alle Anträge, die darauf zielten genau dies zu
verhindern, von der Mehrheit abgeschmettert wurden. Die letzten
Leitanträge waren in erster Linie Instrumente, um in der
innerparteilichen Meinungsbildung zu polarisieren und die
Parteiauseinandersetzung zu bestimmen. Die inquisitorisch
organisierte Atmosphäre während der Behandlung bleibt in
Erinnerung. Sie waren aus unserer Sicht zum Schaden der Partei.

Deshalb sehen wir trotz vieler richtiger Forderungen in der
Friedenspolitik und im Kampf um Arbeit und soziale Rechte in diesem
jetzigen Leitantrag keine Wende, keinen Aufbruch. Er erhält sogar
programmatische Rückschritte oder einen Stillstand in der
Politikentwicklung für die DKP. Er birgt in sich leider die Gefahr
der Isolierung der DKP von demokratischen Bewegungen und auch von
Teilen der Gewerkschaften.

Wir suchen nach einer Diskussionsgrundlage, die uns voranbringen
kann, die helfen kann uns als Kommunistinnen und Kommunisten
politikfähiger und für Menschen, die sich für ihre Zukunft
engagieren, als interessanter Partner ins Spiel zu bringen. Wir
benötigen keine weiteren beschlossenen Leitanträge, die uns dabei
behindern.

Insgesamt gesehen ist der Leitantrag für uns keine ausreichende
inhaltliche Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit der DKP in den
kommenden Jahren. Er fordert nicht heraus sich mit den Entwicklungen
konkreter zu beschäftigen. Er befördert deshalb auch nicht eine
dringend notwendige Parteidiskussion entsprechend der neuen
Herausforderungen.

Er wird die Partei nicht zusammenführen und stärken können. Für
uns ist dieser Entwurf deshalb nicht helfend. Und wir sehen auch
nicht wie wir mit Änderungsanträgen diesen vorliegenden Antrag auf
ein entsprechendes Niveau gebracht werden könnte.

Notwendig wäre ein neuer Entwurf, der durch ein breites Autorenkollektiv erarbeitet wird und die neuen politischen Fragen einfängt und aus marxistischer Sicht analysiert. Eine solche Diskussionsplattform könnte dann Grundlage einer Parteidiskussion über Politik und Zukunft der DKP werden, in der der 23. Parteitag eine Zwischenetappe bilden würde.

Bezirksvorstand der DKP Saarland



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