Luxemburg: Propaganda und Wirklichkeit

Wir dokumentieren an dieser Stelle den Leitartikel aus der heutigen Ausgabe der “Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek”, Tageszeitung der Kommunistischen Partei Luxemburgs (KPL).

Die Ankündigung der Regierung, ab dem 1. März 2020 werde der öffentliche Personennahverkehr kostenlos, hat im Ausland für Schlagzeilen gesorgt, einmal, weil der kostenlose öffentliche Transport generell die Ausnahme ist, und ein weiteres Mal, weil eine Regierung, die ein so großes soziales Herz hat, dass sie die Fahrkarten aus sozialen Gründen abschaffen will, im real existierenden Kapitalismus eigentlich nicht so richtig ins Bild passt.

Andererseits sind
hierzulande viele, die sich eher oberflächlich mit dem politischen und
sozialen Geschehen befassen, erstaunt darüber, dass ausgerechnet die
Eisenbahner- und Transportarbeitergewerkschaften Landesverband und
Syprolux die Initiative der Regierung heftig ablehnen, wo doch die
Gewerkschaften in der Regel für sozialen Fortschritt stehen.

Dieser Widerspruch ist in Wirklichkeit kein solcher. Die »soziale
Kirsche auf dem Kuchen«, wie Minister Bausch den kostenlosen
öffentlichen Transport nannte, hat mehr mit Propaganda denn mit
Sozialpolitik zu tun und soll wohl auch davon abzulenken, dass die
Regierung alles andere denn sozial ist, wenn sie sich weigert, den
Nachholbedarf beim gesetzlichen Mindestlohn zu tilgen und die
Familienzulagen, die Teuerungszulage und Steuertabellen an die Inflation
anzupassen.

Nun ist kostenloser öffentlicher Personennahverkehr
eigentlich eine gute Sache und wird also solche zum Beispiel auch von
den Kommunisten vertreten, vorausgesetzt die Rahmenbedingungen stimmen.
Denn was nutzt es der Verkäuferin mit dem viel zu niedrigen Mindestlohn
aus Differdingen, wenn sie gratis mit dem Zug fahren darf, dieser aber
bei jeder unpassenden Gelegenheit ausfällt oder große Verspätung hat, so
dass ihr Chef in einem Escher Kaufhaus ihr damit droht, die Verspätung
vom Lohn abzuziehen und ihr nahelegt, sich nach einem anderen
Arbeitsplatz umzusehen, wenn sie es in Zukunft nicht schaffen sollte,
rechtzeitig am Arbeitsplatz zu erscheinen?

So gesehen, haben die
Gewerkschaften natürlich Recht, wenn sie vordringlich auf den
qualitativen Ausbau des öffentlichen Transport pochen, fordern, dass
rechtzeitig modernes Material in genügendem Umfang angeschafft, genügend
qualifiziertes Personal eingestellt und die Zugstrecken zügiger
ausgebaut werden, neue Bahnhöfe eröffnet und bessere Dienstleistungen
angeboten werden. Denn verspätete, überfüllte Züge, fehlendes Personal,
Sicherheitsmängel, der Ausbau von Zugstrecken im Schneckentempo und
zeitweise stillgelegte Zugstrecken aufgrund von fehlendem Rollmaterial
tragen alles andere denn zur Attraktivität des öffentlichen Transports
bei.
Gerade da müssten die Regierung und die staatliche
Bahngesellschaft einen gewaltigen Zahn zulegen, ansonsten die
bestehenden Probleme wohl erst am Sankt-Nimmerleins-Tag gelöst werden.

Richtig ist auch, wenn die Gewerkschaften sich gegen die Abschaffung
der Fahrkarten wehren und im Falle des kostenlosen öffentlichen
Transports die Einführung von Freifahrkarten für alle Benutzer fordern,
die eingelöst und von Begleitpersonal kontrolliert werden. Denn an die
Fahrkarte ist, selbst wenn die kostenlos ist, der Anspruch der Kunden an
eine optimale Dienstleistung seitens der Betreibergesellschaft
gekoppelt.

Fazit: Die Regierung sollte dort, wo sie im
Sozialbereich erfordert sind, dringend notwendige Verbesserungen
vornehmen und im öffentlichen Transport die Unzulänglichkeiten schnell
beheben und dafür sorgen, dass schneller und umfangreicher als bisher
vorgesehen in die Qualität investiert wird.

Aus Erfahrung weiß man, dass beides nur möglich wird, wenn die Lohnabhängigen und ihre Organisationen den entsprechenden Druck ausüben.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek

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