„Die Solidarität entfachen“

Der Tarifvertrag in der Systemgastronomie läuft zum 31. 12. 2019 aus. In Ulm fand Anfang der Woche der „Fast Food Workers United“-Kongress der Gewerkschaft NGG statt. Vor dem Kongress unterhielt sich die UZ mit den Organisatoren des Kongresses, Alexander Münchow und Sebastian Wiedemann. Sie sind die Landesbezirkssekretäre der NGG-Landesbezirke Südwest und Bayern.

UZ: Wie ist die Arbeitssituation in der Systemgastronomie?

Sebastian Wiedemann: Auf jeden Fall ist es ein harter Job. Die Beschäftigten stehen unter Zeitdruck, es muss schnell gearbeitet werden, egal in welchem Bereich. Auch in der Systemgastronomie macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Die Beschäftigten klagen über eine hohe Arbeitsbelastung durch Personalmangel, viele Überstunden sind die Folge. Darüber hinaus nehmen es viele Franchisenehmer mit der Arbeitssicherheit bzw. dem Arbeitsschutz nicht so genau. Im Winter ist es keine Seltenheit, dass es an bestimmten Arbeitsplätzen zu kalt ist und im Sommer kommt es immer wieder vor, dass die Klimaanlagen nicht richtig funktionieren. Häufig kommt zu diesen Problemen eine schlechte Dienstplangestaltung hinzu, so dass es den Beschäftigten nicht leicht gemacht wird, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

UZ: Die NGG organisiert eine Konferenz zur Vorbereitung der nächsten Tarifrunde. Was verspricht sie sich davon?

Sebastian Wiedemann:
Die Konferenz hat das Ziel, die Probleme mit den Beschäftigten zu
diskutieren. Wo hakt es? Wo besteht dringender Handlungsbedarf? Wo
können wir als Gewerkschaft Themen im Betrieb, der Öffentlichkeit, aber
auch Politik setzen? Es ist die erste Konferenz dieser Art, die wir in
der Systemgastronomie machen. Wir wollen ein Stimmungsbild einholen,
direkt von den Beschäftigten aus den Betrieben, mit ihnen gemeinsam
Themen identifizieren, um uns als Gewerkschaft auch neue Impulse zu
geben und die Themensetzung möglichst nah an die betriebliche
Wirklichkeit und die Bedürfnisse der Beschäftigten anzupassen. Es soll
ein Netzwerk, eine Bewegung entstehen, die „Fast Food Workers United“,
die diese Themen der breiten Öffentlichkeit präsent macht.
Wir
wollen, dass den Berufen in der Systemgastronomie eine andere
Wertschätzung aus der Bevölkerung zukommt. Denn unser Eindruck ist, dass
vielen Menschen, die tagtäglich Kunden dieser Branche sind, gar nicht
bewusst ist, wie anstrengend und verantwortungsvoll die
Arbeitsanforderungen in der Systemgastronomie sind.
Auch die
Bezahlung ist ein wichtiger Bestandteil in der Frage der Verantwortung
und Wertschätzung. Die im Arbeitgeberverband, Bund der Systemgastronomie
(BdS), organisierten Unternehmen haben im Jahr 2017 einen Umsatz von 6
Milliarden Euro erwirtschaftet, die Beschäftigten dieser Unternehmen
haben einen sehr großen Anteil an diesem Ergebnis. Die Branche ist eine
Wachstumsbranche und dennoch liegt der Einstiegslohn laut Tarif bei 9,25
Euro brutto/Stunde, also gerade einmal 6 Cent über dem Mindestlohn.

UZ: Oder wie „Liefern am Limit“ hier in Deutschland?

Alexander Münchow: Ja, mit „Liefern am Limit“ konnten wir gute Erfahrungen sammeln. Da hat es genau über den Weg funktioniert, dass die Betroffenen selbst aktiv geworden sind und wir die handelnden Akteure durch unsere Infrastruktur, durch unsere finanziellen Ressourcen und unsere Kompetenz und unsere Kontakte unterstützt haben. Die Themen wurden hier überwiegend durch die Betroffenen selbst gesetzt. Diese Ansätze und Strukturen können wir nicht eins zu eins übernehmen, aber uns daran orientieren. Auch hier beim Fast-Food-Workers-United-Congress gilt: mitglieder- und beschäftigtenorientiert zu handeln. Wir sagen als Organisation nicht, wir wissen, was gut für euch ist, sondern erst mal den Beschäftigten zuhören, die uns sagen, was wichtig ist. Und im Zweifel auch zu erkennen, dass wir in der Vergangenheit bei der einen oder anderen Thematik vielleicht auch ein bisschen an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbei gearbeitet haben.

UZ: Die Öffentlichkeitsarbeit spielt bei den neuen Arbeitskämpfen eine besondere Rolle?

Alexander Münchow:
Ja, deswegen wird es nach der Konferenz eine Abschlusskundgebung in der
Ulmer Innenstadt geben, um in der Öffentlichkeit das Thema zu setzen.

UZ: Fastfood-Ketten gelten als extrem gewerkschaftsfeindlich. Hat die NGG überhaupt eine Chance, hier Fuß zu fassen?

Sebastian Wiedemann:
Auf jeden Fall. Es ist nicht einfach, aber es ist möglich. Wir haben in
allen wichtigen Fastfood-Ketten Betriebsratsstrukturen. Nicht überall,
aber wenn wir uns bundesweit umschauen, sind Betriebsratsstrukturen
vorhanden. Noch viel zu wenig, aber wir arbeiten beständig weiter daran,
neue Gremien zu gründen. Zur Wahrheit gehört auch hier, dass
„Unionbusting“ die Wahl von Betriebsräten sehr schwer macht. Aber
ähnlich wie bei den Lieferdiensten hätte man es am Anfang auch für
schwer möglich gehalten, Betriebsratsstrukturen zu schaffen, dennoch ist
es uns in mehreren Städten gelungen. Wir sind da auf einem guten Weg.
Wenn wir es schaffen, die Beschäftigten der Branche zu einer Bewegung,
über die NGG-Landesbezirke Südwest und Bayern hinaus, zu formen, sie zu
den „Fast Food Workers United“ bundesweit zu machen, dann haben wir gute
Chancen die Arbeits- und somit auch Lebensbedingungen der Kolleginnen
und Kollegen zu verbessern.

UZ: Wie soll es nach dem Kongress weitergehen?

Alexander Münchow: An diesem Kongress haben Mitglieder aus den NGG-Landesbezirken Bayern und Südwest (Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen, Baden-Württemberg) teilgenommen. Wir werden die Ergebnisse dieses Treffens auswerten, uns im hauptamtlichen Kreis austauschen und die Arbeitsergebnisse nutzen, um die Branchenarbeit in den Regionen und den beiden Landesbezirken weiter voranzutreiben.

Erschienen in der UZ vom 2. Februar 2019



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